Ich wurde früher von meinen Eltern oft (meist liebevoll...) als „No No Girl“ bezeichnet.
Die kleine Laura, die genau wusste, was sie wollte...und was eben auch nicht.
Damit war ich sicher nicht allein. Die meisten Kinder sind noch sehr nah an ihren Bedürfnissen dran und wissen diese zu kommunizieren...oft eben auch mit einem klaren NEIN.
"Nein, ich will das nicht essen."
"Nein, diese Hose mag ich nicht anziehen."
"Nein, mit der Rosy will ich nicht spielen."
"Nein, ich will nicht zu Oma."
Ganz oft und immer wieder sind Kinder in der Lage, klipp und klar NEIN zu sagen.
Tja, stellt sich nur die Frage, warum wir das dann eigentlich wieder verlernt haben?
Wieso tun wir uns so schwer damit, für unsere Bedürfnisse einzustehen und auch mal aus tiefem Herzen eine klare Grenze zu setzen?
Warum kommt uns dieses kleine Wort mit vier Buchstaben so unfassbar schwer über die Lippen?
Weshalb hat ein NEIN bloß so einen schlechten Ruf?
Der erste Grund fällt dir wahrscheinlich schon ein, wenn du mal überlegst, wie deine eigenen Eltern oder Bezugspersonen denn eigentlich so auf dich reagiert haben, wenn du als Kind wieder und
wieder und wieder NEIN zu gefühlt allem und jedem gesagt hast.
Höchstwahrscheinlich hat das nicht gerade Begeisterungsstürme ausgelöst.
Ich kann mir sogar vorstellen, dass eher das Gegenteil der Fall war: Dein NEIN wurde dir harsch und bestimmt aberkannt.
"Doch, das wird jetzt gegessen."
"Sei nicht so unhöflich."
"Selbstverständlich wird das jetzt angezogen."
"NEIN gibt es jetzt nicht!"
"Wenn du jetzt noch einmal NEIN sagst, passiert was."
"Na gut, dann bleibst du jetzt halt alleine hier."
oder, oder, oder.
Vielleicht fällt dir selbst auch noch ein typischer Satz ein, der dir als Kind oft begegnet ist, wenn du irgendetwas nicht machen
wolltest.
Welche Aussagen es auch gewesen sein mögen - in jedem Fall haben sie etwas mit dir gemacht.
Sie haben dir unbewusst etwas mitgegeben.
Sie haben sich in deinem kleinen Kinder-Kopf festgesetzt und sind bis heute dort als Wahrheit geblieben.
Du hast gelernt, dass NEIN sagen unhöflich, inakzeptabel, falsch und nicht gut ist und dass auf ein NEIN oft schlechte Stimmung, Streit, Bestrafung, Ablehnung oder gar Einsamkeit folgt.
Und unter Umständen hast du diese unangenehmen Erfahrungen auch nicht nur als Kind machen müssen sondern hast auch als Erwachsener noch erlebt,
dass dir auf ein NEIN aus deinem Mund gesagt wurde, dass du egoistisch bist oder dass dein Gegenüber jetzt sehr enttäuscht oder traurig sei. Scham und Schuldgefühle begleiten dein NEIN daher
ebenfalls.
Zusätzlich zu all den negativen Wahrnehmungen bezüglich des Wörtchens NEIN hast du unter Umstnden gleichzeitig auch noch erlebt, dass es als
etwas Positives angesehen wurde, wenn du zu etwas JA gesagt hast. Du hast erfahren, dass deine Bezugspersonen glücklich waren, wenn du "gut mitgemacht" hast. Du durftest Lob und Anerkennung
hören, wenn du jemandem geholfen hast. Und du konntest auch erleben, dass dein Leben wesentlich harmonischer verlief, wenn du dich den Wünschen anderer angepasst hast. Du hast somit ebenfalls
gelernt, dass JA sagen etwas Gutes ist, es bei anderen eher Freude auslöst und dich in einem guten Licht dastehen lässt.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass dir alles in allem mitgegeben wurde, dass JA sagen gut und NEIN sagen schlecht ist.
Aber ist das tatsächlich so? Ist ein NEIN wirklich so schlecht?
Ich sage:
NEIN (hihi, da ist es endlich mal wieder!).
Es ist
alles andere als immer schlecht, Nein zu sagen.
Ein NEIN ist zuerst einmal nichts anderes als der Ausdruck unserer eigenen Grenzen.
Unsere Grenzen zeigen den
Rahmen unserer Persönlichkeit auf. Sie schützen unsere Individualität.
Sie beschreiben, dass es da in uns etwas gibt, was uns selbst wichtig ist und was für uns schützenswert ist.
Sie zeigen, dass wir bestimmte Werte haben, die wir vertreten. Sie machen deutlich, dass wir eine ganz eigene mentale und körperliche Gesundheit haben, die wir erhalten wollen, indem wir auf
unsere Bedürfnisse achten.
Und was sollte daran schlecht sein, dass uns unsere Werte und unsere Gesundheit wichtig sind?
Machen unsere Werte uns nicht erst zu den Menschen, die wir sind?
Ist unsere Gesundheit nicht elementar für die Menschen um uns herum?
Was würde es ihnen helfen, wenn wir uns zwar jahrelang für sie krumm gemacht haben, aber dann krank sind?
"Ja, da hast du schon recht, Laura,...", höre ich oft,"...aber trotzdem ist mein NEIN doch verletzend für die anderen. Und ich will die nicht kränken."
Genau
diese Aussage zeigt einen weiteren Grund, der uns davon abhält ein NEIN als etwas positives oder zumindest als etwas neutrales ansehen zu können: Wir wissen selbst wie sich
ein NEIN anfühlen kann.
Wir haben alle schon mal gespürt wie es ist, NEIN zu einer Bitte oder Frage gesagt zu bekommen.
Das kann schon ziemlich blöd sein und im ersten Moment in uns auch eine ordentliche Portion Enttäuschung, Frustration oder Wut auslösen. Meist bedeutet es, dass wir nicht den einfachsten Weg
gehen können sondern mal überlegen müssen, was es noch für Möglichkeiten gibt. Es heißt, dass wir nicht in unserer angenehmen Komfortzone bleiben können sondern neue Schritte gehen müssen.
Aber mal ganz ehrlich: Ist das denn eigentlich wirklich immer am Ende so schlimm?
Ist es nicht oft auch so, dass wir nur durch ein NEIN des anderen erst einen Weg einschlagen, der uns wirklich voranbringt?
Erfahren wir nicht durch ein NEIN manchmal erst, was für Fähigkeiten noch in uns schlummern. Kommen wir nicht manchmal durch ein NEIN erst mit uns selbst in Kontakt und bekommen vielleicht sogar die Möglichkeit, verletzte Anteile in uns selbst zu heilen?
Überleg doch einmal kurz:
Wann hast du in deinem Leben schon einmal ein NEIN hören müssen, was sich zwar im ersten Moment richtig schlecht angefühlt hat, aber im Nachgang
etwas Positives für dich daraus entstanden ist?
Und genauso wie die Grenze einer anderen Person sich auch schon mal für dich selbst als etwas Gutes herausgestellt hat, so kann es durchaus auch umgekehrt sein. Unter Umständen hilfst du einer
anderen Person sogar, wenn du ein klares NEIN aussprichst. Ja, tatsächlich ist es manchmal sogar
notwendig, Nein zu sagen, um andere auf ihrem Weg oder bei der Erreichung ihrer
Ziele zu unterstützen.
Und was die unangenehmen Gefühle der anderen betrifft, die wiederum in dir ungute Gefühle auslösen, möchte ich dir an dieser Stelle noch zwei Sachen
mitgeben:
1.) Du trägst nicht die Verantwortung für die Gefühle anderer
Häufig haben wir selbst ein schlechtes Gewissen, wenn unser Gegenüber traurig oder sauer wird. Wir denken, die Person hat diese Emotionen jetzt WEGEN UNS. Wir
meinen, wir seien die Ursache dieser Gefühlsstürme (weil wir z.B. NEIN gesagt haben) und müssen jetzt auch die Last und die Verantwortung auf unsere Schultern nehmen.
Eine der wichtigsten Grundannahmen der gewaltfreien Haltung ist allerdings, dass Gefühle NICHT dadurch entstehen, dass eine Person etwas sagt oder tut. Die Ursache unserer menschlichen Emotionen
sind unsere Gedanken und unsere unerfüllten Bedürfnisse (diese Annahme ist im Übrigen auch von vielen Emotionsforschern bestätigt
worden).
Personen können Auslöser (so genannte Trigger) von Emotionen sein.
Da die Ursache der Entstehung aber nicht im Außen sondern im Innen eines Menschen stattfindet, hat die Person selbst auch die Macht darüber, ob und wie intensiv sich ein Gefühl zeigt. Du im Außen
hast diese Macht NICHT. Dem entsprechend kannst du auch nicht die Verantwortung dafür übernehmen.
Wenn du merkst, dass jemand mit deinem NEIN gerade überfordert ist oder es starke Gefühle auslöst, kannst du der Person natürlich deine Begleitung bei der natürlichen Emotionsregulierung oder die
Suche nach einer Lösung, die für euch beide passt, anbieten. Dies sollte aber immer freiwillig und nicht aus Mitleid oder einem Pflichtgefühl heraus entstehen.
Und wenn du selbst merkst, dass es dich selbst emotional werden lässt, den anderen jetzt traurig oder wütend zu sehen, dann bedenke bitte folgendes:
2.) Gefühle sind stets nur Momentaufnahmen.
Häufig sorgen wir uns, dass jemand, der sehr emotional auf eine unserer Aussagen reagiert, uns ab jetzt für immer ablehnt.
Wir haben Angst, dass diese Person sich von uns trennen oder uns Schaden zufügen könnte.
Bei gesunden Menschen und in nicht-toxischen Beziehungen ist dies allerdings nicht der Fall!
Menschen, die einen gesunden Umgang mit ihren Emotionen gelernt haben, wissen, dass ihre Gefühle erst einmal nichts anderes sind als der Ausdruck dessen, dass gerade in diesem Augenblick eines
ihrer Bedürfnisse nicht erfüllt ist.
Sie wissen, dass diese Gefühle nicht immer so sind und nicht verallgemeinert werden können.
Sie wissen, dass Gefühle manchmal stärker sind und manchmal weniger intensiv.
Sie wissen, dass eine gesunde Emotionsregulation meist nur kurz andauert und sich hinter den starken Gefühlen auch wieder Leichtigkeit und Freude verbirgt.
Dir wiederum kann dieses Wissen darum, dass Gefühle keine Allgemeinszustände sind, ebenfalls helfen:
Du darfst vertrauen, dass nach deinem NEIN und einer darauf folgenden ersten emotionalen Reaktion deines Gegenübers, nach einiger Zeit auch wieder Nähe und Verbindung entstehen kann.
Und diese kann dann durchaus sogar noch intensiver sein als zuvor. Denn durch dein Grenzen setzen hast du der anderen Person ja etwas persönliches von dir offenbahrt. Und nur durch Ehrlichkeit
und Offenheit können wirklich tiefe Verbindungen entstehen.
Ich weiß, es ist nicht leicht, ein freundschaftliches Verhältnis zum Wörtchen NEIN aufzubauen.
Aber ich muss sagen: Ich selbst habe es in den letzten Jahren tatsächlich geschafft.
Ich bin wieder zu dem "No No Girl" meiner Kindheitstage geworden, das mutig ist, aus vollem Herzen NEIN sagt.
Wie ich das genau geschafft habe?
Zuerst einmal durch das rechtzeitige Erkennen wann eigentlich der richtige Zeitpunkt für ein NEIN gekommen ist.
Ohne das Bewusstsein darüber wann wir uns unwohl fühlen und wann gerade eine Grenze kurz davor ist überschritten zu werden, können wir diese auch nicht setzen. Es braucht Klarheit über die
eigenen Bedürfnisse und darüber wie es sich anfühlt, wenn sie nicht erfüllt sind.
Und dann brauchte es eben die von mir hier beschriebene Neubewertung des Wortes NEIN.
Dieses kleine Wort aus vier Buchstaben muss seine negative Besetzung in unseren Köpfen verlieren, um ausgesprochen werden zu können.
Es muss uns klar werden, dass ein NEIN kein Leid über uns und unseren Gegenüber bringt, sondern dass es ein Ausdruck unseres bewussten Selbst und der Wunsch eines verbundenen Miteinanders ist. Es
darf verinnerlicht werden:
Wenn diese Haltung erst einmal verändert ist, dann braucht es nur noch die Fähigkeit, dieses NEIN auch zu kommunizieren. Und hier gilt: Es
kommt nicht darauf an, WAS Du sagst sondern WIE Du es sagst!
Sprich dein NEIN daher stets mit einer
ruhigen Stimme aus und bedanke dich, wenn dir danach ist, bei dem Anderen für sein
oder ihr Verständnis. Wenn du möchtest, erzähle deinem Gegenüber was gerade für dich dagegen spricht oder beschreibe dein Bedürfnis, was nicht erfüllt wäre, wenn du jetzt JA sagen würdest.
Versuche aber bitte nicht, dich zu
entschuldigen oder zu erklären. Beides braucht es genauso wenig wie eine Wiedergutmachung oder
Versöhnung im Nachhinein. Denn: Weshalb solltest du etwas wieder gut machen, was doch schon gut ist, oder dich für etwas ent-Schuld-igen, wo es gar keine Schuld gibt?
Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Blogartikel heute einen kleinen Denkanstoß da lassen.
Wenn du magst, teile sehr gern mit mir in den Kommentaren, ob es dir bisher oft schwer gefallen ist, NEIN zu sagen und inwiefern dir meine Impulse helfen.
Und wenn du jetzt spürst, dass du noch intensiver an dem Thema Selbstbehauptung und Selbstfürsorge arbeiten möchtest, buch dir gern ein kostenloses Coaching Erstgespräch mit mir oder komm in
einen meiner Workshops zu diesen Themen.
Bis dahin sende ich dir viel Liebe, Mut und Kraft, für dich selbst einzustehen!
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Claudia Herzberg (Dienstag, 17 Mai 2022 10:22)
Liebe Laura,
es ist schön Deine neue Webseite gefunden zu haben.
Käthe hat mich daran erinnert...
Wann finden die nächsten Online oder Präsenz -Seminare zum Thema Selbstliebe, Selbstwert, Nein sagen, Geld und Frauen statt..?!.
Über eine Nachricht freuen wir uns sehr.
Herzliche Grüße
Claudia und Käthe